Melbourne hat mich überrascht.
Wer kennt sie nicht die Rivalität von Sydney und Melbourne, den beiden großen australischen Metropolen? Eine jede rühmt sich die bessere, schönere, größere, kosmopolitischere zu sein. Eine Jede möchte das Aushängeschild Australiens sein. Die Konkurrenz lag so tief, dass 1908 weder das schicke Sydney noch das hübsche Melbourne zur Hauptstadt des riesigen Landes bestimmt wurden, sondern erst eine komplett neue Stadt aus dem Nichts gestampft werden musste: Canberra. Eine absolute Planstadt, die am 9. Mai 1927 die alte Hauptstadt Melbourne ablöste, jedoch an Kultur, Schönheit und vor allem Geschichte keineswegs mit den zwei Küstenmetropolen Sydney und Melbourne konkurrieren kann. Doch eines hat sie: die alten Streithähne in die Schranken verwiesen!
Nun aber wieder zurück zu den zwei Rivalinnen und zu ihrer Popularität – da hat es das ikonische Sydney auf den ersten Blick nämlich einfacher. Schließlich ist einer der ersten Gedanken, die einen bezüglich Australien in den Kopf schießen wohl die Harbour Bridge, das berühmte Opernhaus und der trendige Bondi Beach. Der erste Punkt geht also eindeutig an Sydney! Doch ein zweiter Blick wendet das Blatt schnell, denn: Melbourne lebt! Melbourne boomt! Melbourne ist die Zukunft.
Die Stadt lebt wahrhaftig, aber welche Stadt tut das nicht? Nun ja, ich meine da etwas anderes, – etwas was mir in meiner viel zu kurzen Woche in Melbourne klar geworden ist: Diese Stadt ist ein wahrhaftiger Melting-Pot von Kulturen, Charakteren und Lebensbildern und das zeigt Melbourne auch unverblümt.
Ich habe in meiner guten Woche in Melbourne einer friedlichen Meditation der chinesischen Falun Gong Bewegung auf der belebten Swanston Street beigewohnt; Ich habe mit den freundlichen indischen Sikh auf dem belebten Federation Square an ihrem Kulturfest teilgenommen; Ich habe auf dem Queen-Victoria-Markt international gespeist und am Sonntag kurz nach Marktschließung in einem bunten Gewimmel aus Menschen bei meinem griechischen und pakistanischen Händler bestes Obst zum Top-Preis gekauft; Ich habe in Melbournes Carlton – auch „Little Italy“ genannt – sizilianischen Käse genascht und italienischen Gesprächen gelauscht; Ich habe Postkarten gekauft und mit dem Karten-Verkäufer aus Hong Kong über die chinesische Sonderverwaltungszone geschnackt; Ich habe die Pauluskathedrale (St Paul’s Cathedral) mit der wunderschönen neuen Glaspforte besucht und zugeschaut wie ein neues Community Mitglied aus Indien begrüßt wurde; Und ich habe stundenlang vor und in der schönen State Library Victoria gesessen, inmitten von hunderten von jungen und alten Menschen – jeglicher Herkunft, Glaubens und sozialem Status – und habe bei inspirierender Straßenmusik und umgeben von Schach spielenden Melbournians und Touristen das kostenfreie WLAN genutzt und ein bisschen geschrieben.
Ja, wenn man in Australien, in jenem Land, dessen Bevölkerung zu einem Viertel im Ausland geboren wurde, von einem Vielvölkerstaat spricht und an friedlichen Multikulturalismus denkt, dann schießt einem wahrscheinlich Melbourne in den Kopf!
Doch ich bin auch durch Melbournes belebte Straßen Bourke und Swanston flaniert und habe die vielen Obdachlosen gesehen, jung und alt, eingekuschelt in ihre Decken, oft mit ihren Hunden – ihren treusten Begleitern im harten Straßenleben –; Ich habe im Küstenviertel St Kilda die schönsten Villen gesehen und habe in St Kilda gleichzeitig die längsten Schlangen Bedürftiger vor den kirchlichen und sozialen Einrichtungen wahrgenommen; Und ich habe in der Bibliothek St Kildas dem Wutausbruch eines Obdachlosen beigewohnt, der jedoch sehr freundlich ignoriert wurde. Zudem wurde der spuckende, keifende Herr nicht einmal der Bibliothek verwiesen!
Tja, Melbourne ist ein wahrer Melting Pot der Kulturen, Charaktere und Lebensstile und hat sich mir in meiner kurzen Woche entgegen meiner Erwartungen sehr freundlich und weltoffen gezeigt.
Mit rund 4,7 Millionen Einwohnern hat Melbourne rund 300.000 weniger als die ewige Rivalin Sydney. Doch das wird sich voraussichtlich im Jahr 2021 ändern, wenn auch Melbourne die 5 Mio. Marke knackt. Dann wird Melbourne Sydney langsam aber sicher als einwohnerreichste Stadt ablösen. Denn während Sydneys Zuzug stagniert, da Mieten und Eigentum kaum noch bezahlbar sind, finden Neuankömmlinge in Melbournes Stadtrand noch eine Zukunft und die heißt: erschwinglicher Wohnraum!
Mir ging es im Übrigen genauso. Ich habe meine ersten Tage in Melbourne in dem gemütlichen Küstenort St Kilda verbracht. Ich bin die Küstenpromenade entlang gejoggt und habe einige wenige Pinguinköpfe erspäht, wie sie aus den Felsnestern hervorlugten; Ich habe den 1912 eröffneten Freizeitpark Luna Park mit seinem Wahrzeichen am Eingang – dem lachenden Gesicht und der Achterbahn – mit heruntergeklappter Kinnlade bestaunt; Ich habe den wohlhabenden Melbournians zugeschaut wie sie ihren Kaffee in den teuren Cafés der Esplanade genossen und habe mich von den kugelrunden Augen possierlicher Opossums auf den Bäumen verzaubern lassen. St Kilda gefiel mir gut. Junge entspannte Leute in Flip Flops, eine total relaxte Atmosphäre und vor allem viel günstigere Hostels als in Melbournes Innenstadt!
Als ich mich dann jedoch aufraffte, um Melbournes Innenstadt mit einer der Free Walking Touren zu erkunden, da wurde mir klar: Melbourne hat eindeutig mehr als das rund 7 Kilometer abgelegene, idyllische St Kilda zu bieten! Ich entschied mich also mit Sack und Pack in den United Backpackers in Melbournes CBD zu ziehen – auch wenn die Preise um einiges höher liegen!
Meine neue zentrale Herberge befand sich nur fünf Gehminuten vom Herzen der Stadt entfernt, dem Federation Square, an dem der Yarra Fluss gemächlich vorbeizieht. Toll an diesem Platz ist, dass hier jung und alt, groß und klein, Einheimische, Zugezogene und Touristen zusammen kommen! Der prominenteste Treffpunkt der Melbournians ist zudem nicht von Bankenbunkern oder staatlichen Prunkbauten zugebaut, sondern überzeugt mit Kunstinstallationen und Museen. Einzig gegenüber des Platzes befindet sich der alte pompöse Bahnhof Flinders Street.
In meinen wenigen Tagen in der Innenstadt, sollte ein später Morgenlauf entlang des Yarra Flusses mit einem Abstecher in den dahinter gelegenen wunderschönen Royalen Botanischen Garten aus dem Jahr 1846 und dem Endziel des geselligen Federation Square zu meinem kurzen täglichen Melbourne-Ritual werden.
Doch es sollte nicht bei einem einzigen Ritual bleiben! Bei meinem zweiten allabendlichen Besuch des indischen vegetarischen Restaurants OM in einer kleinen Nische der Wales Arkade, in der belebten Swanston Street versteckt, lernte ich den Melbournian Jeremy kennen. Ihm musste bereits vor mir aufgefallen sein, dass diese kleine sehr modeste indische Imbiss-Kette trotz der kulinarischen Vielfalt und Weltoffenheit der Stadt ein absoluter „Geheimtipp“ ist! Denn im OM bekommt man den wohl günstigsten vegetarischen ALL YOU CAN EAT THAALI der Stadt!
Wer also nicht nur indisches Essen mag, sondern auch noch einen guten Appetit hat wie den meinen, gern vegetarisch speist und mit einem niedrigen Budget unterwegs ist, der sollte zu Mittag oder Abend unbedingt im OM essen! : ) Und keine Sorge, Melbournes Innenstadt versteckt 4 Filialen, für alle die, die doch ein wenig mehr Abwechslung mögen!
Mit Jeremy speiste ich jedoch nicht nur im OM, sondern entdeckte auch Australiens älteste öffentliche Bibliothek, die wunderbare State Victoria Bibliothek, die seit unserem abendlichen Spaziergang durch die alten Gemäuer zu meiner absoluten Lieblingsbibliothek gehört! Denn diese wunderbaren Gemäuer bezaubern nicht nur durch Architektur und Design, allen voran dem wundervollen La Trobe Lesesaal, sondern die Bibliothek steht auch Exempel für Melbournes friedliches soziales Beisammensein! Ob nun Studenten, die in den Innenräumen zum Lernen und für Besprechungen zusammen kommen oder vor der Bibliothek sitzend vom kostenlose WLAN profitieren oder aber die vielen älteren Herren, die den gesamten Tag in der Bibliothek Karten spielen oder das riesige Feld vor der Bibliothek nutzen um junge Asiatinnen in die Schachkunst einzuweihen, sie alle machen die „turbulente Ruhe“ der Bibliotheksoase aus. Der tägliche Aufenthalt in der Viktoria Bibliothek wurde neben der alltäglichen Speisung im OM und meinem morgendlichen Yarra-Jogging zu meinem dritten Melbourne-Ritual!
Ich bin mir relativ sicher, dass es mir im weltoffenem Melbourne mit seinen vielen hübschen, verwinkelten Gassen und Arkaden, nicht schwer gefallen wäre, noch weitere liebgewonnene Rituale zu finden, wäre ich nur noch ein kleines bisschen länger in dieser sympathischen Stadt geblieben … Melbourne hat mich wirklich überrascht!
Einzig das Wetter Melbournes – jener Stadt, die vom „The Economist“ zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt wurde – hat mich nicht überzeugt! Und ja, da kann sich Melbourne mit seiner gemäßigten Klimazone noch so sehr ins Zeugt legen, egal wie der ewige Konkurrenzkampf mit der Rivalin Sydney ausgeht, in puncto Wetter wird Sydney, mit rund 236 Sonnentagen im Jahr, den schlappen 185 Sonnentagen Melbournes wohl auf ewig voraus sein!
Kurz & knapp: Meine Melbourne Highlights!
- City Circle Tram: Am schönsten fährt es sich in Melbourne mit der historischen, weinroten Straßenbahn „Tram“ Nr. 35 (City Circle – Free Tourist Tram von etwa 9:30 Uhr bis 21 Uhr im 12 Minuten Takt ). Die Straßenbahn fährt in beide Richtungen eine Runde um das Stadtzentrum, und hält an allen wichtigen Highlights wie dem Federation Square, den Docklands, der Shopping Meile an der Bourke Street, etc. Ansonsten sind in Melbournes Innenstadtbereich alle Trams kostenlos!
- Free Walking Tour: Das sind oft lokale Studenten, die einen mit Herz und Witz durch Melbourne führen und eine gute Mischung zwischen den klassischen Sehenswürdigkeiten und Insidertipps bieten. Zu Fuß gibt’s ja bekanntlich am meisten zu sehen. I´m free bietet 2x Touren am Tag zwischen 2,5-3 Stunden und die Bezahlung ist ein Trinkgeld nach eigenem Ermessen (Seid fair! : )
- State Library of Victoria: Die 1854 im viktorianischen Stil erbaute Bibliothek bietet nicht nur freies WLAN, sondern auch ziemlich gute, kostenlose Bibliothekstouren bzw. „Guided Tours“ durch die verschiedenen wechselnden Ausstellungen der Bibliothek.Tipp: Unbedingt einen Blick in den faszinierenden La Trobe Reading Room werfen!
- St Kilda: Ob ein Besuch der Pinguinkolonie bei Sonnenuntergang, ein Strandspaziergang entlang der Esplanade, ein Besuch des Pier mit einem Kaffee im Pier-Pavillon oder eine Fahrt im Luna Park – ein Abstecher in den Stadtteil an der See lohnt!
- Royal Botanic Gardens Melbourne: Diese traumhafte grüne Oase südlich des Yarra Flusses beherbergt 8.500 verschiedene Pflanzen aus der ganzen Welt und hält märchenhafte Seen versteckt – an diesem Ort direkt neben der Innenstadt lässt sich bestens entschleunigen.
- Federation Square mit Flinders Street Station: Dieser Ort ist quasi das „Herz Melbournes“ und lohnt sich für den Beginn einer jeden Melbourne-Erkundungstour und das nicht nur, weil es kostenloses WLAN und eine Touristen-Information gibt! Rund um den geselligen Federation Square gibt’s natürlich auch verschiedene Cafés und Restaurants sowie Museen und Kunstinstallationen.
- Queen-Victoria-Markt: Dieser historische Open Air Markt ist der größte der Südhalbkugel und bietet nicht nur frischeste Lebensmittel und internationale Köstlichkeiten an seinen rund 600 Ständen, sondern ist selbst ein Melbourne-Highlight mit seiner trubeligen, sympathischen Atmosphäre und jeder Menge spontanem Entertainment. Ein sehr geselliges Örtchen mit Top-Lebensmitteln in allen Preisklassen!
- The Block Arcade: Es lohnt mit einem leckeren flat white in der Hand durch diese ikonische Galerie im Mailänder Stil voller viktorianischer Pracht und schmiedeeisernem Prunk zu schlendern und die Überbleibsel des Goldrausches der 1850er-60er Jahre – diesen Ort der einstigen rauschhaften Dekadenz – auf sich wirken zu lassen!
Bis dahin, Eure Antje
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Ein spannender Bericht. Vielen Dank dafür.
Dankeschön Hedwig! : )
Toll geschrieben!
Schöner Bericht, tolle Bilder. 😊
Lieben Gruß
Ewald
Vielen lieben Dank Ewald! Die Grüße gehen zurück 🙂
Liebe Antje,
Wie immer macht auch dieser Bericht Freude aufs Reisen und Entdecken. Ich habe viel dabei gelernt, und auch die schönen Photos sehr genossen.
Herzliche Grüße,
Tanja
Vielen lieben Dank Tanja, das freut mich zu hören! Sende herzliche Grüße zurück! Antje
Dein toller und informativer Bericht bestätigt mich, unbedingt Melbourne besuchen zu müssen. Die Konkurrenz der beiden Großen erinnert mich an die von Auckland und Wellington. Trotz unbeständigen Wetters fand ich Wellington irgendwie entspannter und weltoffener als Auckland, obwohl ich für beide Städte echt wenig Zeit hatte. Aber es ist dieser gefühlte Eindruck, den man schwer in Worte fassen kann. Ganz liebe Grüße an Dich, Simone
Liebe Simone, jetzt hast du mich neugierig gemacht, in Neuseeland war ich nämlich noch nie! Der erste gefühlte Eindruck oder viell. ist´s auch ein Bauchgefühl,- ich finde auch, dass sich das langfristig so gut wie immer bestätigt. Ich fand beide Städte schön und ein Sydney Bericht folgt…, aber Melbourne war für mich irgendwie die authentischere Stadt, glaube, das trifft´s am besten 🙂 Liebe Grüße, Antje
Ach NZ…. Bin schon wieder am spekulieren und dann aber zusammen mit Australien… Ich freu mich schon auf Deinen Bericht von Sydney!
Sofern bei mir wieder Australien ansteht, ist NZ definitiv auch dabei : ) LG Antje
Ganz toll geschrieben und bebildert! Jetzt habe ich Lust auf Australien bekommen 🙂
Dankeschön! Dann drück ich die Daumen, dass es mit Australien bald klappt : )
Hey,
ein super schöner Text, der wirklich Lust auf Melbourne macht. Deine Bilder sind der Hammer. Wenn Australien nur nicht so unglaublich weit weg wäre, würde ich mir jetzt auch erstmal ne Woche in Melbourne gönnen und dann nochmal eine in Sydney, damit ich auch den Vergleich habe ;-). Freue mich schon auf weitere Texte von dir.
Viele Grüße!
Lieben Dank Dani! Ja, eine Sydney Impression folgt natürlich noch : ) Viele Grüße, Antje
Its been a long time since I was in Melbourne Antje but it seams you visited many places that I have spent time at. Gracious city with a lot of good food and mixed culture.
Thanks Mick! Yes, it is! It surprised me and it´s a gracious city! But I missed Perth´s sunshine : )!!!!
Sehr schöner Artikel. Ich war im Juli 2011 – August 2012 für 12 1/2 Monate im Rahmen meines Bachelorstudiums in Australien. Leider hat es mich nur kurz für einen Besuch nach Melbourne verschlagen. Aber es ist schon eine tolle Stadt und ich kann deine EIndrücke nur bestätigen. Kann mich noch an alles sehr gut erinnern.
Liebe Antje,
vielen Dank für diesen Beitrag. Ich sende dir liebe Grüße aus dem United Backpackers und werde die kommenden Tage ein paar deiner Geheimtipps abklappern 🙂
Liebe Tina, oh wie schön!! Grüß mir Melbourne ganz lieb und lass Dir die Pancakes im United schmecken (-; Hoff, dass sich die furchtbaren Feuer alsbald beruhigen und wünsch Dir eine wunderbare Zeit, du Weltenbummlerin !! 🙂