Die Nacht ist kühl und kurz, doch eigentlich ist es egal. Denn was an diesem Morgen ansteht, dafür brenne ich schon lange: Der Great Ocean Drive!
Sieben Sommer habe ich im traumhaften Kapstadt in Südafrika verbracht und kenne die Stadt und den weltberühmten Chapman`s Peak Drive nur zu gut. Natürlich kann und möchte ich keine Parallelen zwischen einer traumhaften, rund 9km (!) langen Küstenstraße mit 114 Kurven auf der Kap-Halbinsel an der Atlantikküste Südafrikas und der spektakulären, rund 243km langen Straße entlang der australischen Südküste ziehen!
Aber doch! – mein Gefühl täuscht mich nicht! Als wir uns im australischen Victoria die Kurven unmittelbar zwischen Meer und den steilen Felswänden entlang schlängeln und ich den spektakulären Panorama-Blick über Ozean und Felsen genieße, da schießen mir phasenweise unweigerlich Kapstadt-Momente in den Kopf. Eine Gemeinsamkeit haben der Chapman`s Peak Drive und die Great Ocean Road allemal: Sie sind ein natürliches Balsam für die Seele – sie berauschen, sie verzaubern!
Die Great Ocean Road (GOR) ist ein nationales Denkmal im Bundesstaat Victoria. Die Straße wurde von heimgekehrten Soldaten des Ersten Weltkrieges im Andenken an ihre im Krieg gefallenen Kameraden gebaut und ist das weltweit größte Kriegerdenkmal, das je geschaffen wurde! Doch genug der Geschichtsstunde. Denn neben dieser tiefen historischen und kulturellen Bedeutung ist die Great Ocean Road ein wahrhaftiges Naturspektakel! Schroffe Klippen, die tosende See, verträumte Fischerdörfer, malerische Sandstrände, Surf-Hotspots, versteckte Schiffswracks, unzählige Kakadus und prächtige Kalksteinfelsen sind auf der rauen Traumstraße an der Küste, an der unzählige Schiffe verendet sind, zu finden.
London Bridge wäre da so ein natürliches Prachtexemplar. Eine besonders schöne Kalksteinformation zweier Felsen mit einer Brückenverbindung zum Festland, die inmitten des seichten, doch wildem Wasser des Ozeans empor ragte. Der Felsen wurde durch natürliche Erosion abgetragen und formte bis 1990 einen Doppelbogen. Wunderschön anzusehen und einst wahrscheinlich auch wunderschön zu bewandern, hätte sich die fragile Felsbrücke nicht eines Tages den Naturgewalten hingegeben und wäre weggeknackt. Denn auch die langsamer verwitternden Bereiche derartiger Gesteinsformationen unterliegen der Erosion, so dass damit zu rechnen ist, dass sie früher oder später in sich zusammenbrechen. Glücklicherweise befanden sich damals noch keine Selfie-Jäger auf dem schmalen Verbindungsglied der Felsen, wohl aber auf dem nun vom Festland abgeschotteten Felsbogen! Die beiden Touristen konnten glücklicherweise mit einem Helikopter von der neu gebildeten Insel gerettet werden, bevor die tosende See sie wegspülen konnte! London Bridge heißt seitdem jedenfalls nur noch London Arch und gehört zu einer ganzen Reihe sehenswerter Felsformationen entlang dieses Abschnitts der australischen Küste.
Dazu gehören natürlich auch die berühmten bis zu 50 Meter hohen, im Meer stehenden Felsformationen Twelve Apostles (dt.: „Zwölf Apostel“). Wie könnte man auch die 243 wunderschönen, geschichtsträchtigen Kilometer zurücklegen, ohne die weltbekannten Zwölf Aposteln gesehen zu haben?
Übrigens hatten die Zwölf Apostel nicht immer diesen werbeträchtigen Namen, sondern waren früher bei den Seeleuten, – für deren Orientierung sie stets sorgten, – unter The Sow and Piglets (dt.: Die Sau und Schweinchen) bekannt.
Fakt ist auch, dass es keine zwölf Aposteln sind – und wohl auch nie waren! Denn als sich der neue Name in den 50er Jahren verbreitete, bestand die fragile Felsformation trotz ihres Namens nur aus neun (!) Kalksteinfelsen. Nachdem im Jahr 2005 jedoch ein 50m hoher Felsen in sich zusammenstürzte, sind es heute nur noch rund siebeneinhalb Felssäulen. Denn das gleiche Schicksal, das die London Bridge ereilte, zeitigt natürlich auch die pfeilartigen Felsgebilde der Twelve Apostles, die durch die erosive Kraft des Meeres im Laufe der Zeit zusammenbrechen.
So sind und waren London Bridge, Twelve Apostles und alle anderen faszinierenden Felsformationen entlang dieses Küstenabschnitts nur eine Erscheinung von kurzer Dauer. Zumindest aus geologischer Sicht. Sie schaffen es unsere Generationen in höchstem Maße zu erfreuen, aber werden in einigen Jahrhunderten wohl nur noch den Wert alter Bilder, Fotografien und vielleicht noch Erzählungen aus Großmutters Zeiten haben.
Kein Wunder also, dass ich ein wenig nostalgisch bei dem Maler hängenbleibe, der voller Hingabe und Ruhe inmitten der vielen Besucher der Aussichtsplattform sein Stühlchen aufgestellt hat und die prächtigen Kalksteinformationen auf seinem Bildnis festhält. Tiefenentspannt und ohne mit der Wimper zu zucken. Ach – Maler müsste man sein! Nichts ist für die Ewigkeit! – und seine Kunst mit Sicherheit bald ein Relikt einer anderen Zeit…
Mich hat der Besuch der Zwölf Apostel begeistert – und das trotz der massenhaften Besucher, trotz des diesigen Tages, trotz des starken Windes und trotz der falschen Zahlenangabe! Der Blick auf den weiß schäumenden Ozean, die gewaltige Brandung, die steilen Klippen mit der grünen Vegetation und die einzigartigen beige-braun-orangenen Felswände, dazu das Tosen von Meer und Wind das jegliche Gespräche und Kinderschreie um mich herum einfach wegweht, das ist einmalig.
Ähnlich ergeht es mir auch beim Gesteinsdurchbruch The Grotto, bei der schmalen Felsenklippe Razorback und bei der Schlucht Loch Ard Gorge – alles weitere Landmarken der Great Ocean Road, die an jenem renommierten Abschnitt liegen, der auch als Wrackküste bekannt ist.
Die Loch Ard Gorge (dt.: Loch-Ard-Schlucht) liegt nur wenige Kilometer westlich der Zwölf Apostel an der GOR und wurde nach dem Segelschiff Loch Ard benannt, das nach einer dreimonatigen Schiffsfahrt im Jahr 1878 auf Grund lief und sank. Einzig der Schiffsjunge Tom Pearce und die junge Irin Eva Carmichael, die von Pearce gerettet wurde, überlebten. Es ist faszinierend, wieviele Mythen bis heute über die beiden jungen Leute erzählt werden.
Bleibt man ein wenig vor dem Schild, das über die Loch-Ard-Schlucht erzählt, stehen, dann wird man schnell Zeuge der vielen Gespräche, Diskussionen und vor allem der unglaublich vielen verschiedenen Versionen, die über das Geschehene kursieren.
Sie erzählen, davon, dass die junge Irin Eva Carmichael Australien nach der Tragödie Richtung Irland verließ und der Schiffsjunge Tom Pearce Jahre später als Kapitän vor der Küste Irlands auf Grund lief, und dort von Carmichael gerettet wurde. Oder aber die Version, dass die beiden sich in jener Nacht der Rettung ineinander verliebten – heirateten und natürlich auf ewig zusammen blieben. Doch natürlich existiert auch die tragische Variante, nämlich jene, dass sie ihre Liebe aufgrund ihrer Herkunft aus verschiedenen sozialen Milieus nicht ausleben konnten. Abenteurer, Romantiker, Tragiker …?! Wahrlich verblüffend wie derartige Geschichten die Kreativität und Phantasie von uns Menschen beflügeln.
Was mir bei der Great Ocean Road schnell ins Auge stößt ist, dass die Straße auch wie ein nationales Denkmal von historischem Wert behandelt wird. Anhand von Schildern mit kleinen Texten wird an den Höhepunkten der Strecke wie dem Memorial Arch oder den bekanntesten Felsformationen einiges an interessanter Info gegeben. Sicherlich nichts für jedermann – mir persönlich hat´s jedoch gefallen : )
Weiter geht´s landeinwärts entlang der GOR mit einem kurzen Abstecher in den satten, grünen Regenwald des Great Otway Nationalparks. Kurz zuvor habe ich noch alte Schiffswracks besichtigt und mit unzähligen weiteren Besuchern skurrile Kalksteinfelsen begutachtet, und nun befinde ich mich plötzlich in einem uralten, gemäßigten Regenwald. Der Great Otway Nationalpark ist landschaftlich abwechslungsreich mit Eukalyptusbäumen, versteckten Wasserfällen, meterhohen Farnbäumen und dem Riesen-Eukalyptus. Letzterer ist ein immergrüner Baum, der ein Alter von etwa 400 Jahren erreichen kann und als der höchste Laubbaum der Welt gilt. Vielleicht sogar der höchste Baum überhaupt? – doch eigentlich ist´s egal, denn wer einmal unter dem Riesen-Eukalyptus zum Stehen kommt und einen Blick nach oben wirft, wird sich – mit einer eigenartigen Faszination – mal wieder der eigenen Winzigkeit in dieser Welt bewusst.
Vom Great Otway Nationalpark geht´s weiter nach Apollo Bay, das ungefähr in der Mitte der Great Ocean Road liegt. Es ist von grünen Hügeln umgeben, die an den Norden Schottlands erinnern und gleichzeitig ist es ein malerischer Ort, um hier eine Nacht zu verbringen. Lohnen tut aber sicherlich auch ein Besuch bei Dooley’s Ice Cream, das praktischerweise direkt gegenüber vom Strand liegt. Dooley’s Premium Schokoladeneis hat im Jahr 2016 den angesehenen Australian Grand Dairy Champion Award gewonnen und natürlich kann ich mir das nicht entgehen lassen! Nachdem ich die lange Schlange von gleichgesinnten Abhängigen hinter mir gelassen habe, komme ich den Worten des charmanten Verkäufers nach – und probiere „so viel wie du magst“. Eigentlich nicht meine Art, doch dem recht teuren australischen Dollar und meiner süßen Gefräßigkeit geschuldet, kommt mir dieses verlockende Angebot gelegen. Insgesamt komme ich auf sieben Geschmacksrichtungen, wobei auch Australiens Brotaufstrich Nr. 1, – das für meinen Geschmack furchtbar schmeckende Vegemite, – dabei ist. Immerhin: Ich bin über meinen Schatten gesprungen und habe Vegemite eine Chance gegeben! Leider war´s Vegemite nicht wert! Dooley’s Ice Cream selbst ist den Besuch dahingegen allemal wert!
Doch Apollo Bay ist nicht nur ein malerisches Örtchen mit leckerem Eis, sondern hier startet auch der traumhafte Great Ocean Walk. 104km pure Wanderfreude von Apollo Bay bis hin zu den Zwölf Aposteln entlang der faszinierenden Küstenlandschaft der GOR. Übernachten kann man entweder in den Herbergen, der auf dem Weg gelegenen Dörfer oder in einem der sieben Campingplätze, die sich inmitten der Natur befinden und zwischen 10 bis 15 km voneinander entfernt liegen. Meine Zeit hat dafür leider nicht gereicht, doch sollte ich eines Tages zurück nach Victoria kommen, dann steht der Great Ocean Walk sicherlich ganz oben auf meiner Liste. Wahrscheinlich direkt neben dem Grampians Peaks Trail : )
Hinweis: Die klassische Great Ocean Road startet offiziell in Torquay und führt dann 243 Kilometer entlang der australischen Südküste bis nach Warrnambool. Ich habe das Pferd quasi von hinten aufgesattelt und bin nicht vom Osten in den Westen, sondern vom Westen in den Osten gefahren. Heraus kam selbstverständlich das selbe : ) Manch einer hält diese Tour jedoch für die bessere Variante, da viele Besucher von Melbourne einen Tagesausflug entlang der GOR machen. Startet man nun aber im Westen Richtung Melbourne, dann ist man zeitiger an den stark besuchten Höhepunkten der Wrackküste und entgeht so dem größten Besucheransturm.
Eure Antje
DANKE für das Mitnehmen !
Sehr gerne 🙂
Spektakuläre Küste!
Oh ja, das ist sie wirklich Detlef!
Bist Du aktuell wieder Down under?
Nein, leider nicht mehr. Schon wieder zurück in Berlin 😉
Ich kenne keine der beiden Küstenstraßen, doch sie sehen traumhaft schön aus. Ich habe Dich gerne auf Deiner Reise begleitet. Meine Erfahrung mit Vegemite ähnelte der Deinen! 🙁
Haha, danke Dir liebe Tanja. Ich glaube Vegemite bleibt einzig eine Freude für die Australier, die kriegen das glaube ich schon mit der Muttermilch mit (und das sind nicht meine Worte, sondern die ehrliche Antwort eines Australiers 😉 LG Antje
Hallo Antje, wie immer ein toller Bericht. Danke dafür, dass du uns „mitnimmst“ auf deine Reise.
Danke Dir Barbara. Freu mich ja, dass du mental mitreist ; )
Sehr schöner Artikel. Ich war im Juli 2011 – August 2012 für 12 1/2 Monate im Rahmen meines Bachelorstudiums in Australien. Zwischen dem Semester an der Uni und meinem Praktikum in Sydney bin ich viel gereist und war natürlich auch beim Great Ocean Drive. Kann mich an alles von dir beschriebene noch gut erinnern und deine Bilder hätten auch von mir sein können. 🙂 Australien hat einfach so viel tolles an Natur abseits der Großstädte zu bieten. Das fand ich einfach toll. Mich hat damals besonders fasziniert, was die Natur so alles geschaffen hat, wenn man mal an die London Bridge oder die Twelve Apostels denk. Lock Ard Gorge. Ach ja, wenn ich nur daran denke würde ich am liebsten gleich morgen wieder runter fliegen.