Südostafrikas Malawisee: Lebensquell und Traumsubstanz I

Es blitzt und donnert! Klitschnass umklammere ich meinen Rucksack und versuche ihn mit meinem völlig durchnässten Körper zu schützen. Meine Augen kann ich kaum öffnen, sie sind verklebt, da sich der in Strömen fließende Regen in meinem Gesicht mit den Schweißpartikeln auf meiner Haut vermischt hat. Vor wenigen Minuten knallte die Sonne noch ungehindert aufs Schiffsdeck – und somit auch auf mein Haupt. Doch davon ist nichts mehr übrig. Aber egal. Das einzige was jetzt noch zählt, ist meinen Rucksack vor der Nässe zu schützen. Denn darin befindet sich mein ganzes Hab und Gut: mein Rechner! Meine Schriften und Notizen, mein portables Büro …

Nkhata Bay Lake Malawi

Die letzten Tage hatte ich bereits in Mzuzu festgesessen – konnte nicht vor und zurück, da mein Heiligtum eines MacBooks ganz plötzlich seinen Geist aufgegeben hatte. Die Deadline eines Artikels zwang mich in der Provinzhauptstadt des Nordens zu bleiben, um mein Büro wieder zum Laufen zu bringen. Nur leider kannte sich in Mzuzu kaum jemand mit einem Macbook aus. Der geplante Umsteigestopp wurde so zu einem dreitägigen Aufenthalt. Das ganze hatte aber auch etwas für sich: Mzuzu, jene unspektakuläre Stadt in Nord-Malawi, an der ich freiwillig nie inne gehalten hätte, wuchs mir mit jedem Tag mehr ans Herz. Die Leute waren freundlich, die Stadt friedlich, das Mzuzu Coffee Den bot besten malawischen Kaffee und der nette Herr vom Reparaturladen schaffte es mit vollem Einsatz meinen Rechner nach drei Tagen Tüfteln wieder zum Laufen zu bringen! Ihm sei auf ewig gedankt!

MzuzuNkhata Bay Market

Daraufhin war meine Fahrt weiter nach Nkhata Bay gegangen, in ein infrastrukturell gut ausgebautes Städtchen am Malawisee – ein Hub für Backpacker, Aussteiger und Weltenbummler … Nkhata Bay hat mich sofort verzückt. Der Malawisee leuchtete in den sattesten Blautönen und lud zum Entspannen ein. Ich verbrachte ein paar schöne Tage im Mayoka Village, einer schicken Lodge direkt am See und genoss es zu Kayaken, Stehpaddeln zu betreiben, unter Palmen zu schreiben und bei Sonnenuntergang unter der Himmelsdusche mit Blick auf den rosa-orange-bläulich schimmernden See zu duschen. Himmlisch! Ich besuchte den lokalen Markt, snackte hier und da und plauschte mit all den anderen Backpackern über ihre Abenteuer. Doch dann war es mal wieder geschehen: Ich wollte mehr! Mehr von dem, was seit einer gefühlten Ewigkeit in meinem Kopf herum schwebte … fünf Buchstaben: ILALA!

Aqua Africa Nkhata BayNkhata Bay sunset

Von Wolkenbrüchen und einem unendlichen Blau

Seit Jahren hatte ich von der Ilala geträumt und unzählige Dokumentationen über das alte Schiff gesehen, das seit 1951 Fracht und Passagiere über den Malawisee schepperte. Es umrundete das drittgrößte Gewässer des Kontinents und hielt an all jenen Orten und Ortschaften, die ich schon immer besuchen wollte. Für viele Einheimische – ihre Dörfer und Inseln – war die Ilala jedoch nicht der Luxus meines Traums, sondern ihre Lebensgrundlage. Die Seele des Sees. Der einzige Kontakt zur Außenwelt, der ihnen half, ihre Waren zu verschiffen, Handel zu betreiben und sich fortzubewegen. So zählt Malawi zu den ärmsten Ländern der Erde. Ein Großteil des Landes wird vom Malawisee eingenommen. Bodenschätze sind rar. Bei Dürre oder Überschwemmungen herrscht Hunger. Angelockt vom Wasser hat sich die Zahl der Malawier an den Ufern des Sees in den letzten Jahrzehnten vervielfacht.

Für Besucher war die Ilala dahingegen wohl einer der schönsten und ehrlichsten Einblicke in das Leben und die Kultur der Malawier, die eng mit dem Malawisee verknüpft ist. Doch leider hatte die Ilala ihre besten Tage bereits hinter sich gelassen …

Aqua Africa

So wunderte es nicht, dass obwohl ihre Ankunft vorausgesagt worden war, mich am Tag meiner geplanten Abreise die Nachricht ereilte, dass die Ilala mal wieder in Trümmern lag. Mir blieb also nichts anderes übrig, als noch mal zwei Tage dran zu hängen und auf die neue Fähre, die durchaus weniger charmante Chilembwe zu warten. Gesagt, getan. In aller Frühe hatte ich die Chilembwe schließlich erreicht und mich in die Menge der Menschen eingereiht, die ihre Habseligkeiten bereits in alle Ecken der Fähre verfrachtet hatten. Für mich blieb nur noch ein Plätzchen an der Steuerbordseite übrig. Dort ließ ich mich mit meinem Gepäck nieder, setzte mich auf den Boden, ließ die Beine die Schiffsbrüstung hinunter baumeln und mir die Sonne aufs Haupt scheinen, während ich gebannt auf das Meer – nein, auf den See – starrte. Kein Land in Sicht. Ein See wie ein Ozean, fast so groß wie Belgien. Es musste an der Weite und dem Blau liegen: ein wundervolles Blau. Ein See, der zum Träumen verführte.

Likoma Harbour

Ich schloss meine Augen und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen und den Fahrtwind. Und dann geschah es plötzlich! Wie aus dem Nichts verfärbte sich der zuvor nahtlos hellblaue Himmel zu einer grau-schwarzen Himmelsdecke! Und ehe ich mich versah, begann es zu regnen. Aber nein, es waren nicht ein, zwei Regentropfen, die da hinunter plätscherten: Es war ein Wolkenbruch hagelähnlicher Körner, gepaart mit einem zornigen Donnern, Grollen und Blitzen. Die See tobte! Die Menschen schrien und liefen in Panik kreuz und quer über das Schiff – sofern der Platz das zu ließ!

Auf dem Schiffsrumpf saß eine Gruppe Militärs auf Säcken voller Lebensmittel und Ölkanistern. In Sekundenschnelle zogen sie eine große Plane auf dem offenen Deck hervor und boten einigen Gästen die Möglichkeit eines Unterschlupfes. Und ich? Ich beobachtete die Szenerie so gut es ging, und musste mir eingestehen, dass ich mit meiner eigenen Rettungsaktion wohl etwas getrödelt hatte. Kein freies Schlupfloch weit und breit! So entschied ich mich, mit den anderen trödelnden Leidensgenossen auf der schmalen, ungeschützten Steuerbordseite zu bleiben. Nass waren wir ohnehin schon bis auf die Knochen. Ich machte es mir einzig zur Aufgabe mein Gepäckstück zu schützen und darauf acht zu geben, bei dem mittlerweile recht starken Wellengang, nicht über Bord zu gehen. Ich schloss meine Augen, kauerte mich meinen Rucksack umschlingend an die Wand, und ging in den meditativen Überlebensmodus über. Das zumindest so lange, bis ich erneute Schreie vernahm. Gefolgt von einem lauten: „Ohhh“ und „Ahhh“.

So gut es ging, blinzelte ich durch meine verklebten Äuglein hindurch und erspähte das Objekt des Erstaunens. In der Ferne, vielleicht 100 Meter von uns entfernt, inmitten des grau-schwarzen Himmels tobte ein, ein … ja, was war das eigentlich? Ein Wirbelwind? Nein, ein Zyklon, wie mich mein Nachbar an der Schiffsbrüstung korrigierte. Der Wirbelsturm fegte kreisend, sich drehend, tosend und brausend als schmaler, länglicher Sturm über den See hinweg. Trotz anhaltender, fetter Regentropfen lockte er die Menschen staunend aus ihrem Regenunterschlupf hervor. Handys und Kameras blitzten.

Selbst geneigt dieses Naturspektakel festzuhalten, entschied ich mich doch dafür, den Moment einzig als Erinnerung in meinem Kopf festzuhalten. Mein nasser Körper, gehüllt in ein blaues Sommerkleidchen, zitterte unentwegt und der Wolkenbruch rief unschöne Erinnerungen wach: nämlich als ich einige Jahre zuvor an den mächtigen Viktoriafällen in Sambia meine Kamera getauft hatte. Mit dieser Taufe setzte ich auch ihrem Leben als funktionstüchtige Kamera ein Ende! Nein, eine weitere afrikanische Taufe unter dem sich ergießenden Himmel auf dem Malawisee wollte ich nicht provozieren!

Silent lake

20 Minuten später: Der Himmel erstrahlt in einem wunderbaren Blau über dem Malawisee. Die Sonne saugt die letzte Feuchte aus meinem Kleid und ich habe mich mittlerweile ganz nach vorn auf den Schiffsbug gekämpft. Dort liege ich neben meinem Rucksack auf einem Sack Reis und einem Ölkanister. Mir ist etwas schummerig und ich fühle mich schlapp. Nur am Rande bekomme ich mit, wie das australische Pärchen zu meiner rechten winselt und sie sich über der Chilembwe erbricht. Ein paar weitere Fahrgäste lehnen sich über die Brüstung und ich höre ihr Ächzen. Ich schaue mich um, blicke in leere Gesichter. Erschöpft nicke auch ich ein.

Inselparadies Likoma

Nach knapp drei Stunden erreichen wie die Insel Likoma. Endlich. Die Fahrt hatte den Anschein einer Ewigkeit. Kleine Boote nähern sich unserer Fähre. Jetzt heißt es alles zu verstauen, was es zu verstauen gibt. Säcke, Kisten, Bananenstauden, Babys und Kühlschränke werden von der Chilembwe in die kleinen Boote gehievt. Ich sitze bereits in einem der vielen Boote und beobachte das Spektakel. Neben mir sitzt das australische Pärchen, daneben ein Israeli, ein Brite, ein Amerikaner, zwei Südafrikaner und zwei deutsche Burschen. Eigentlich hat sich alles, was auf der Chilembwe offensichtlich als Tourist unterwegs war, in diesem Boot vereint. Wen wundert´s – so gibt es auf Likoma nur ein einziges paradiesisches Budget-Hostel, neben einem exklusiven, teuren Resort und ein paar unspektakulären Pensionen.

Likoma Island FerryBoardingFerry

Zu meinem Entsetzen muss ich feststellen, dass auch der riesige Kühlschrank zu unserer neu formierten Reisegruppe gehört. Auch er möchte in unseren Backpacker. Schließlich gibt es auf der hübschen Insel inmitten des Malawisee keine andere Möglichkeit als den Import derartiger Utensilien vom Festland. Likoma lebt einzig vom Fischfang, der Landwirtschaft und dem Tourismus. Es dauert gute dreißig Minuten bis wir das Biest auf unserem Boot verfrachtet haben. Dann müssen wir Passagiere uns neu justieren, um das Gleichgewicht auf dem hölzernen Wassergefährt wieder herzustellen. Los geht die Fahrt! Bei Wellengang und entgegen des Windes scheppern wir erneut über den Malawisee. Und so klein die Insel auch sein mag, soll es noch mal eine gute Stunde dauern, bis wir die Hälfte umrundet haben. Genug Zeit, um Einblicke vom Ufer Likomas zu erhaschen und dem Leben, was dort stattfindet.

Drei Worte umschreiben es perfekt: Einfachheit. Gemächlichkeit. Gemütlichkeit …

Likoma Baobab Avenue

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0 Gedanken zu “Südostafrikas Malawisee: Lebensquell und Traumsubstanz I

  1. Danke für diesen tollen Beitrag! Ich musste direkt mal in Google Maps stöbern, wo genau der See eigentlich liegt. Ob dieser Sturm wirklich ein Zyklon war und nicht vielleicht eher ein Tornado (z.B. so: https://www.gettyimages.co.uk/detail/photo/tornado-storm-over-lake-malawi-royalty-free-image/859092038)? Zyklone entstehen und bewegen sich eher über dem Indischen Ozean. Sie erreichen zwar auch die ostafrikanische Küste, aber dass sie so tief in den Kontinent bis Malawi reichen, wäre ungewöhnlich. Und vor allem entstehen sie nicht so schnell aus dem Nichts und verschwinden ebenso schnell wieder, sondern sie toben tagelang. Deine Beschreibung (plötzliches Entstehen und Verschwinden, sich drehend, langer schmaler Schlauch, etc.) passt eher zu einem Tornado. Bin schon gespannt auf Teil 2! 🙂

    1. Vielen Dank für Deinen Kommentar! Und danke für die Recherche 😉 Ich muss ehrlich gestehen, dass ich auch unschlüssig war, ob Zyklon oder Tornado. Habe mich auch ein bisschen eingelesen, da ich kaum was darüber wusste und stimme Dir zu. Vor allem, da das Phänomen wirklich blitzartig wieder verschwand. Einzig, dass die Malawier von einem Zyklon sprachen, hat mich den Begriff übernehmen lassen. Auf jeden Fall hat mich der „Tornado“ ziemlich beeindruckt. Ebenso der Malawisee. Und wenn ich auf das Bild von Dir schaue: Ja. Genau so, sah es aus!
      Viele Grüße,
      Antje

      1. Hab gerade mal in einem Dictionary nachgesehen, und das englische „Cyclone“ (ich nehme an, die Unterhaltung war auf englisch) steht nicht nur für „Zyklon“ im Sinne des tropischen Wirbelsturms, sondern auch für „Windhose“, was ein schwacher, nicht voll ausgebildeter Tornado ist. Ich glaube, das ist es! 🙂 Ja, kann mir vorstellen, dass es beeindruckend war… jedenfalls wenn man nicht gerade mittendrin ist!

      2. Danke Dir. Wieder was gelernt – stimmt natürlich, die Unterhaltung war auf Englisch 😉 Und ja, aus der Ferne war es höchst dramatisch, aber beeindruckend anzuschauen. Wie es sich anfühlt, inmitten des Tornados zu sein, benötige ich nicht in meinem Erfahrungsschatz!! LG Antje

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