Eigentlich wollte ich mit meinem Söhnchen in diesem Jahr nach Bali und meine Yoga-Ausbildung machen. Dann kam Corona. Eigentlich wollten wir dann 1080 km quer durch Deutschland wandern. Dann kam der „Lockdown light“. Nun haben wir uns entschieden das Abenteuer vor der Haustür zu suchen, denn der November mag zwar lang, aber nicht grau sein, vielmehr: herbstlich golden. Und das Berliner Umland bietet die Möglichkeit Urlaub vor der Haustür zu machen, nämlich auf einer 7-Tages-Wanderung, die Natur, Stadt und Geschichte auf wundersame Weise vereint. Wie sagt man doch: Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Vorhaben. Heute geht es auf Etappe 3 von Lichterfelde Süd bis zum Wannsee.
7-Tage-Rundwanderung um das herbstlich goldene Berlin
Das Schöne am Wandern rund um Berlin ist, dass man auf den verschiedenen Etappen der 7-Tages-Wanderung rund um die Hauptstadt jederzeit (wieder) ein- oder aussteigen kann. So treffe ich mich heute mit einer vollen Thermoskanne Kaffee im Gepäck, meinem kleinen Söhnchen in der Trage und dem Rucksack auf dem Rücken erst zu um 12 Uhr mit meinem Freund David am S-Bahnhof Lichterfelde Süd. Erfreulicherweise steht vor dem Bahnhof auch eine kleine Bäckerei, an der ich mich noch mit leckeren, „vom Chef selbst gebackenen“ Keksen eindecke, wie mir die Verkäuferin versichert. Dann ziehen wir auch schon los.
Auf dem Programm stehen für heute 24,6 Kilometer vom S-Bahnhof Lichterfelde Süd bis zum Bahnhof Wannsee. Der Zeitplan für die dritte Tour, die SÜDWEST-Etappe sieht dafür 6 Stunden und 11 Minuten vor. Auszeichnen tut sich die vom Deutschen Alpenverein (DAV) und der Sektion Berlin unter dem Titel „Das alpine Berlin“ ins Leben gerufene Wanderung vor allem dadurch, dass alle Start- und Endpunkte einer jeden der je 20 bis 25 Kilometer langen Touren bequem mit der S-Bahn zu erreichen sind und die Etappen auch einen S-Bahn-Anschluss auf halbem Wege streifen. So ist ein späterer Ein- oder früherer Ausstieg immer möglich. Und genau das haben wir heute vor: Wir wollen nur rund 15 Kilometer bis zum S-Bahnhof Griebnitzsee „spazieren“, wie es meine Begleitung nennt.
Etappe 3: Von Lichterfelde Süd nach Wannsee
Wir spazieren über den Holtheimer Weg zur Berliner Stadtgrenze, wo ein Fuchs eilig an uns vorbei flitzt. Auf dem ausgeschilderten Berliner Mauerweg geht es nach rechts und schon erreichen wir den Teltowkanal, der uns heute den gesamten Tag begleiten wird. Der Teltowkanal ist für die Schifffahrt eine Südumgehung Berlins und zieht sich rund 38 Kilometer durch die Hauptstadt und ihr Umland. „Ist der begnadigt?“, fragt mich David, während mein Söhnchen im Tragetuch freudig quiekt und der Wind durch das Herbstlaub fegt. Stirnrunzeln. Dann wird mit klar, was er gesagt haben muss: „begradigt“. Das leuchtet ein. Ich kann es bestätigen, handelt es sich doch um einen Kanal, also ein künstlich hergestelltes Gewässerbett, und eben dieses wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts angelegt. Dabei verbindet der Teltowkanal die Spree-Oder-Wasserstraße (heißt: die Dahme, ein Nebenfluss der Spree) mit der Unteren Havel-Wasserstraße (daher: Potsdamer Havel) und verläuft durch die Bundesländer Berlin und Brandenburg, wo er teilweise ihre Landesgrenze bildet.
Mit Blick auf das heutige Streckenprogramm macht das auch Sinn: Es soll vom Bahnhof Lichterfelde Süd entlang des Teltowkanals, an der ehemaligen Kontrollstelle Drewitz vorbei, weiter bis zum Stölpchensee gehen. Es wird also wieder geschichtlich, was das ehemals geteilte Berlin betrifft. Ab Stölpchensee verspricht die Route dann gebirgiger zu werden, mit schöner Aussicht von den „Westalpen“ nach Babelsberg und Potsdam.
Während ich noch über die Strecke philosophiere, sind wir bereits einige Kilometer am Teltowkanal entlanggelaufen, vorbei an der brandenburgischen Stadt Teltow im Landkreis Potsdam-Mittelmark bis zur Gemeinde Kleinmachnow mit dem Machnower See, südwestlich des Berliner Bezirkes Steglitz-Zehlendorf. Dabei wechseln wir immer wieder die Kanalseite. Zwar kommt die Sonne nicht zum Vorschein und auch der Blick gen Himmel ist trist, doch das Dickicht um den Kanal leuchtet in rot, orange-gelber und grüner Pracht, so dass doch ein wenig Farbe in unsere Wanderung kommt. Und auch wenn die Strecke bisher weniger abwechslungsreich ist als jene der vorhergehenden Etappen, so ist es doch eine schöne Wanderung, die uns am Kanal entlang führt.
Wir ziehen vorbei an der Machnower Schleuse, das wohl markanteste Bauwerk auf unserer heutigen Strecke, das unter Denkmalschutz steht. Der Grundstein der Schleusenanlage Kleinmachnow wurde bereits 1901 gelegt und fünf Jahre später fand die feierliche Eröffnung unter Kaiser Wilhelm II statt. Weiter geht es am südlichen Kanalufer rechts, unter den Brücken der A 115 hindurch, vorbei an einigen Anglern, bis wir Albrechts Teerofen im Berliner Ortsteil Wannsee erreichen. Am angrenzenden Campingplatz treffen wir sogar auf eine Anglerfamilie mit Zelt, die hier mit ihrem (auch!) einjährigen Söhnchen ein paar Tage Urlaub macht. Witzigerweise trägt der Zwerg die gleiche Mütze wie mein Bub im Tragetuch, und schnell werden die beiden einander vorgestellt. Doch lange können wir nicht rasten, denn bald wird es dämmern.
Am ehemaligen Grenzübergang Drewitz wird es historisch, befand sich hier doch der größte innerdeutsche Grenzkontrollpunkt auf Ostseite. Wir belesen uns an der Infotafel und folgen den Spuren der deutschen Teilung auf der recht beeindruckend anzuschauenden Brücke, die einst Ost von West trennte. Hier hat sich die Natur wieder zurückgeholt, was ihr von Menschenhand genommen wurde. Bei den 960 Brücken (Stand: 2016), die unsere Hauptstadt aufweist, gehört diese Brücke zwar nicht zu den schönsten, wohl aber zu den (historisch) außergewöhnlichen.
Es geht rechter Hand des Kanals weiter und während es langsam dunkel wird, bewundern wir ein großes, imposantes Haus auf der linken Kanalseite, das wie ein Gehöft wirkt. Es ist das unter Denkmalschutz stehende Landgut Eule, einstige Wildhüter-Unterkunft von Kaiser Wilhelm I. Heute kann man sich hier einmieten. Im Inneren des idyllisch gelegenen Hauses mit weiten Fenstern brennt ein warmes, einladendes Licht. Draußen springen Kinder um ein Lagerfeuer, jauchzen und jemand spielt Gitarre. Romantische Idylle. Tja, auch das ist Berlin. Einfach nur schön. Oder doch kitschig? Definitiv schön. Kitsch ist, was wir im Kopf draus machen, beschließe ich. Denn keiner von uns Beiden hätte nur eine Sekunde daran gezögert die Kanalseite zum Kremnitzufer zu wechseln und sich dazu zu gesellen: Meinen Sohn konnte ich nicht fragen, der schlief ja noch …
… pünktlich als wir die Brücke erreichen, die uns zum S-Bahnhof Griebnitzsee führen soll, wacht mein kleiner Begleiter wieder auf. Bei der Eventlocation, Café und Restaurant Söhnel Werft, ausgesprochen romantisch am Teltowkanal gelegen, kurz bevor dieser in den Griebnitzsee übergeht, leuchten die Lichter und geben den Blick auf einen tollen Spielplatz frei: eine Rutsche für Minis, ein Holzauto und jede Menge Sand gibt es hier. Natürlich wird dieses Örtchen von meinem Sohn noch „bespielt“, dann ziehen wir weiter durch die alte Ortschaft Kohlhasenbrück und bewundern die imposanten Häuser im Ortsteil Wannsee. Am S-Bahnhof Griebnitzsee angekommen, fülle ich meinen Becher im mir stets geschätzten (Anmerkung: gegenüber des Bahnhofs befindet sich ein Zweig der Universität Potsdam, die mir einige fröhliche Studienjahre geschenkt hat : ) Restaurant 201 mit heißer Schokolade zum Mitnehmen. Und ab geht’s nach Hause.
Alpine Gipfel oder aber auch: „Mülldeponie mit Tücken“
Am nächsten Morgen steht der restliche Teil der dritten Etappe an, der als sehr wasserreich und gebirgig beschrieben werden kann. Wieder im Gepäck ist mein kleiner Sohn und auch meine Eltern, mit denen ich zum Spielplatz am Westende des Teltowkanals des Vorabends zurückkehre. Die Entzückung meines Kleinen über diesen Ort – nun bei Tageslicht und Sonnenschein – soll hier nicht unerwähnt bleiben.
Wenig später ziehen wir wieder am Kanal entlang, der nun in den Griebnitzsee übergeht, durch ein schönes Waldstück. Spaziergänger, Jogger, Hunde Gassigeher – hier herrscht ein reges Treiben, während sich im Wasser einsame Kanufahrer, ambitionierte Rudergruppen und Boote verlustieren. Eines der Boote, mit dem Namen „Corona“ zieht samt seiner zwei grinsenden Kapitäne, fix an uns vorbei, während wir am Griebnitzkanal entlanglaufend, die Hubertusbrücke erreichen. Der Blick zur linken auf den Kanal und zur rechten auf den Stölpchensee ist wunderschön.
Rechts neben der Hubertusbrücke machen wir unsere erste Rast im Hotel Forsthaus. Eigentlich noch zu zeitig zum Einkehren, doch die Sonne lacht und der Kuchen ist lecker, so dass wir es uns auf dem Waldstück vor dem Hotel gemütlich machen. Kaum, dass wir fertig sind und das Forsthaus wenige Meter hinter uns gelassen haben, um die „Westalpen“ zu erklimmen, machen wir erneut Halt. Ein Stand mit Vertrauenskasse, auf dem sich Brennnesseltee, Marmelade, Öle und ein paar Pflänzchen – alles hübsch drapiert, befinden, erregt unsere Aufmerksamkeit. Wir entscheiden uns für eine Quittenmarmelade (wie sich später herausstellt: sehr lecker!) und beginnen den Aufstieg zum Moritzberg.
Wem der Moritzberg kein Begriff ist, dem kann ich getrost sagen, dass auch ich nie zuvor von ihm gehört hatte. Es handelt sich hierbei nämlich um die ehemalige Hausmülldeponie Wannsee, worauf eine Infotafel von den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR) am Rande des Weges hinweist. Die Deponie wurde 1954 in ausgebeuteten oder stillgelegten Kies- und Sandgruben angelegt und bis 1982 von den BSR für die Ablagerung von Hausmüll und Bauschutt genutzt. So hat es der Aussichtspunkt auf sage und schreibe 94,8 Meter gebracht. Noch heute entsteht im sogenannten Deponiekörper der Anhöhe durch die Umsetzung des organischen Materials im Müll Deponiegas, das (klimaschädigendes), explosives Methan enthält, weshalb die offiziellen Wege hier nicht verlassen werden sollten.
Der Ausblick von unserem ersten erklommenen Gipfel auf dieser Etappe ist in jedem Fall vielversprechender als seine Konsistenz: Potsdam und Babelsberg liegen in der Ferne. Nach einem Rundumblick ziehen wir weiter: Vorbei an Spaziergängern, die fleißig Schlehen – auch bekannt als Sauerpflaume – am Wegesrand pflücken. Auf meine Frage, was sie damit Schönes vorhaben, folgt prompt: „Marmelade und Likör“. Na dann: Prost Mahlzeit!
Wir nähern uns dem Hirschberg, der auf 77,1 Metern liegt, wobei wir zu unserer rechten den Blick auf den 103,2 Meter hohen Schäferberg mit Fernmeldeturm genießen. Eigentlich ist der Schäferberg der dritte Gipfel unserer heutigen Etappe, doch nachdem wir den Gipfel des Hirschberg „erklommen“ haben, fällt meine offline-Karte plötzlich aus. Wir laufen eine ganze Weile im Kreis auf dem Kamm, doch keine Ausschilderung noch ein Weg führt auf die andere Seite zum Berg. Wir treffen auf einige Wanderer, auch ortskundige, doch niemand kann uns weiter helfen. Als wir schließlich einen Abzweig finden, landen wir im Sperrgebiet und müssen wieder zurück. Für uns geht es daher nicht über den Alten Königsweg und Schneewittchenweg zum Fernmeldeturm, sondern wir entscheiden schließlich den letzten Berggipfel zu umlaufen, da wir zwischenzeitlich Zeit verloren haben. Die Sonne wird bald untergehen. Kaum haben wir die ehemalige Deponie verlassen, funktioniert auch meine Karte wieder.
Wir laufen nun am Kleinen Wannsee, später am Großen Wannsee vorbei und erfreuen uns an den herrschaftlichen Häusern und Villen, ebenso am Sonnenuntergang. Mein Blick fällt noch mal zurück zum Schäferberg mit Fernmeldeturm. Schon komisch, dass uns der Aufstieg verwehrt blieb. Mein Paps äußert die Vermutung, dass meine Wanderkarte aufgrund der vielen Funkmasten kurzzeitig ihren Geist aufgegeben hat. Der „verpasste Berggipfel“ hat unsere heutige Wanderung dennoch nicht verpatzt, denn erstens waren wir stets ganz dicht dran, zweitens haben wir lange den Blick auf den Gipfel genießen können und drittens haben wir unser Endziel auch über einen schönen Weg durchs Wohngebiet Am Großen Wannsee erreicht (einzig ein großes Fragezeichen bleibt bestehen, wo der Verbindungsweg nun wirklich lang geführt hätte). So erreichen wir schließlich den S-Bahnhof Wannsee voller neuer Bilder und Eindrücke übers Berliner Umland im Kopf: Auch diese dritte SÜDWEST-Etappe rund um die Hauptstadt lohnt allemal!
Wir freuen uns schon auf die nächsten Streckenabschnitte!
Alle Infos zur zweiten Etappe findet ihr im Übrigen hier beim DAV. Zum vorhergehenden Streckenabschnitt geht es hier und zum nächsten hier.
Bis dahin! Eure Antje
*//Hinweis: Die Wanderung wurde von mir selbst organisiert, die Recherche eigenständig betrieben, alle Empfehlungen sind privater Natur. Es handelt sich um keine Kooperation, dennoch kann dieser Beitrag unbezahlte Links / unbezahlte Werbung enthalten. //*
2 Gedanken zu “Wanderung „Das alpine Berlin“: Südwest-Etappe von Lichterfelde Süd nach Wannsee”